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Aus dem Archiv: Hört den Herrn und laßt euch sagen
Heiligenstadt im Eichsfeld
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Heiligenstadt · Donnerstag 11 Apr 2024
Tags: NachtwächterinHeiligenstadt
Als die Gassen von des Wächters Stundenruf noch widerhallten:

„Die Städte kannten in früheren Jahrhunderten kein Nachtleben. Gassen, Stiege, Plätze waren nach Sonnenuntergang bald menschenleer. Verließ jedoch jemand bei Dunkelheit das Haus, war die Mitnahme einer brennenden Laterne unerläßlich, denn wer ohne sie ging, hatte nach damaliger Vorstellung nichts Gutes im Sinn. Um Gewalttaten, Überfällen, Diebereien vorzubeugen, gaben sich viele Städte Stadtfriedenssatzungen, nicht zuletzt, um konspirative Zusammenkünfte im Schutz der Dunkelheit zu verhüten, die der festgefügten Obrigkeitsstruktur gefährlich werden konnten. Sonderlich zu Zeiten allgemeinen Aufruhrs erlebten die Bürger detaillierte, verschärfte Verordnungen, welche jegliches Aufbegehren im Keim ersticken sollten.

Während des Reformationsbeginns und des Bauernkrieges, später im Dreißigjährigen Krieg überkam die Gemeinwesen eine Flut von Vorschriften, die unmissverständlich der Einschüchterung dienten und damit die Furcht der Herrschenden vor den vom Volk getragenen Umwälzungen zum Ausdruck brachten. Schenken und Gasthäuser unterlagen ganz besonders städtischer Aufsicht, und mancherorts gab das Abendläuten das Signal, den Ausschank zu schließen. Die Nachtwache mit Laterne, Hellebarde und Horn begann ihre Runde und ließ den Stundenruf hören. Das „Hört ihr Herrn und laßt euch sagen“, oft romantisiert und mit der Vision der Butzenscheibenzeit verwoben, hatte handfeste, weniger mit Gefühlsfracht beladene Hintergründe als Ursache. Es galt, ein auf engstem Raum innerhalb der Stadtmauern existierendes urbanes Gemeinwesen ohne innere Störungen zu verwalten.

Nirgendwo jedoch verlief dieser Prozeß konfliktfrei. Am geringsten sind dabei Verstöße gegen Moral und Sittlichkeit zu werten, welche dennoch von der städtischen Obrigkeit zum Anlaß genommen wurden, mit drastischen Strafen aufzuwarten. So gefiel manchen innerstädtischen Institutionen das um sich greifende Nachtschwärmertum überhaupt nicht, wenn ‚das Junge Gesind', unter dem natürlich stets eine Anzahl ‚frecher Gottes und aller Zucht vergessener Dirnen sich befand‘, zur Ordnung gerufen werden mußte. Für junge Leute, die zu später Stunde ‚außer ihren Hausen‘ angetroffen wurden, mußten die Eltern empfindliche Geldstrafen entrichten. Ausgelassensein, noch dazu zu abendlicher Stunde in Kneipen oder Tanzhäusern, galt als höchst verdammungswürdig. Und hochwirbelnde Röcke, Röcke, unter denen nach der Mode der Zeit keine Unterwäsche getragen wurde, waren von amtswegen verpönt. ‚schändliches Tanzen!, wetterte die Obrigkeit, deren Tanzstil von patrizischer Feierlichkeit geprägt, anders als die robusten Springtänze des gemeinen Volkes war.

1555 verkündete eine sächsisch-meißische Ordnung: „...und setzen wir fest, es sei in Städten, Flecken oder Dörfern, wo ferner Tänze gehalten werden, daß sie züchtig und schamhaft geschehen, Manns- und Weibs-Personen züchtig und gebührlich bekleidet und bedeckt seien und das unziemliche Verdrehen, Geschrei und andere ungebührliche Gebärden gänzlich nachbleiben und von keinem, wes Standes er sei in seinen Gerichten gestattet werde...“

So waren die Stadtknechte und Wachen mit vielfältigen Aufgaben betraut, deren Bewältigung sie überforderte. Auch kam ihnen der Auftrag zu, insbesonders nachts nach Bränden Ausschau zu halten, welche bei der leichten Holzbauweise Hab und Gut, Leib und Leben der Bürger ständig bedrohten. Die Städte des Mittelalters erlebten mit Regelmäßigkeit große Feuersbrünste. Anders als wohlhabende Bürger, deren Häuser über Gewölbekellern oft ein gemauertes Erdgeschoß mit unverputzten Bruchsteinen besaßen, darüber einen hochgezogenen spitzgiebligen Fachwerkaufbau, wohnten die unteren Stände in reinen Fachwerkhäusern und Hütten, deren Dächer anfangs mit Stroh oder Schindeln belegt waren. Immer wiederkehrende Brandkatastrophen verpflichteten die Bürger, ihre Dächer mit Ziegeln decken zu lassen, und Schornsteine mußten aus ‚gebackenen‘ Steinen bestehen.

Es gab Feuerbeschauer, die Herd- und Feuerstellen zu inspizieren hatten. Offenes Licht war nicht erlaubt. Mancherorts wurden nach dem ersten Abend-Hornblasen bestimmte Verrichtungen wie Waschen, Hantieren mit Stroh, Wachs, Pech untersagt. In den Häusern mußten lederne Wassereimer bereitstehen und vor den Haustüren durften in engen Gassen keine Gerätschaften abgestellt werden, um für dringende Löscharbeiten einen freien Durchgang zu garantieren. Die Wächter in den alten Städten mußten auf vieles achten, wenn nicht eine gute Nase haben, um jedem Brandgeruch sofort nachgehen zu können. Und war ein Feuer ausgebrochen, gaben sie die Nachricht an den Turmwächter weiter, der seinerseits den großen Alarm auslöste. Alle Bürger waren verpflichtet, Löschdienst zu leisten. War der Brand gelöscht, schritt man zum Gebet, dankte für die göttliche Güte, welche die Feuersbrunst gelöscht habe und bat um gnädige Verhütung ferneren Unglücks.“

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Quelle: Thüringer Tageblatt vom 20. Mai 1982, Wolfgang Trappe – Bild: Heiligenstadts Nachtwächterin Heidelinde Liepe 2022 bei der Heimensteiner Kirmes © Thomas Schuster Heiligenstadt – 0381


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