
Der Zug der Mühlhäuser nach Langensalza
„… „Der Wille Gottes marschiert. Wir werden von heute und von hier aus einen großen Aufstieg nehmen,“ sprach Müntzer, stolz zu Pferde, zu Heinrich Pfeiffer herüber, der Sattel an Sattel neben ihm ritt, und zeigte auf die marschierenden Rotten, welche lärmend vor und hinter ihnen zogen. Immer und neue Scharen fanden sich an allen Feldwegen zu ihnen; es war wie eine große Heerschlange, was sich unter dem Regenbogenbanner gen Langensalza wälzte, und die Luft erdröhnte von dem Lärmen und Schreien der kriegsbegeisterten Massen aus Mühlhausen und allerorten.
„Wir hätten sollen in der Stadt bleiben - es hat keinen Nutzen, nach Salza zu gehen,“ widerriet Pfeiffer. „Das ist der Anfang. Ich bin froh, dem Volke ein Ziel gegeben zu haben. Diese Fahne wird uns immer weiter nach Osten führen.“ frohlockte Thomas Müntzer und hob sich im Sattel.
Pfeiffer schwieg dazu. Die Schellenglöckchen an ihren Sätteln klingelten leise, wohl vernehmlich in dem Lärm der marschierenden Massen, die des Frühlingstages nicht achteten und sich mit Singen und Schreien für den Krieg begeisterten. Johlendes Weibsvolk war unter ihnen, sogar solche mit greinenden kleinen Kindern.
Der Amtmann in Salza muß hin! Und unsere entwichenen Bürgermeister müssen wir erwischen! Alle Adligen und Herren schlagen wir tot! Oder sie sollen in unseren Kerkern verschmachten. - Hans Stark, seiner Rotte voranmarschierend, dachte bei sich an das alte Sprüchlein: Die Nürnbergischen henken ihrer keinen, sie hätten ihn denn gefangen. Es wird ein Stück Arbeit für dich geben, aus diesen dummen und bocksteifen Großmäulern gute Landsknechte zu machen, mit ihnen eine Stadt wie auch nur das kleine Salza zu belagern und zu berennen. Großmaul schlägt kein Tor ein. Also hast du gute Gelegenheit, Hans Stark, deinen Kummer zu vergessen. Bis jetzt ging alles gut und seinen geraden Weg. Gebe Gott dir bald den Bürgermeister Rodemann vor die Klinge. …
So sann und hoffte er, dachte auch viel über die neue Brüderschaft Gottes vom ewigen Bunde nach, der er nun angehörte, und empfand das Ganze manchmal wie ein Wunder, daß er heute hier mit Thomas Müntzers Rotten marschierte und war vor Tagen noch bei dem Landgrafen von Hessen gesessen. Jener gnädige und gute Herr ist also jetzt dein geschworener Feind! Oh, gnad' dir Gott, Hans Stark, wohin hat dich dein Sinn geführt und wie wird das alles enden? --
„Ein Bote soll auf Salza reiten und unsern Gruß entbieten,“ befahl großspurig Thomas Müntzer, hielt sein Pferd an und schrieb mit flinker Hand einen Zettel voll, den er auf sein Evangelienbuch gelegt hatte. Die Volksmassen um ihn stauten sich. Ehrfürchtig blickten sie auf ihren schriftgelehrten Führer und Propheten. Viele erboten sich, den Brief nach Salza zu bringen, denn erstens konnte man dabei reiten, und gewiß gab es auch einen guten Botentrunk; allen klebte vor Durst die Zunge im Halse.
Einer ritt jetzt mit dem Briefe vorauf. Der Heerhaufe trottete gemächlicher hinterdrein, denn es war schon über Mittag und heiß wie im Sommer: Salza lief ihnen ja auch nicht davon.
Als sie Mauer und Turm der Stadt näher und näher vor sich sahen, kam der Bote zurück. Mit einem Briefe an Müntzer, der ihn haftig erbrach und laut vorlas:
„Lieber Bruder, wir haben Euer Schreiben und Anerbieten verstanden, bedanken uns dessen freundlich und wollen, so Gott will, unsere Sache unter uns zu gutem Frieden bringen. Damit seid Gott befohlen!“
Müntzer biß sich ärgerlich auf die Lippen, aber Pfeiffer wiederholte mit Betonung seine Ansicht: „Wir hätten in der Stadt bleiben sollen.“
„Das Tor ist versperrt!" rief es von vorn her.
Wie Schamröte flog es über Müntzers Gesicht, und auch Pfeiffer erschrak.
Die Massen aber drängten unaufhaltsam vor Salzas Obertor, begehrten schreiend Einlaß. Thomas Müntzers Fähnlein flatterte vor der ersten Stadt und fand sie versperrt.
„Schlagt dem Amtmann den Kopf ab und werft ihn über die Mauer!“ brüllte es im Haufen. Hans Stark lachte dazu. So leicht wird solch ein Preis nicht ausbezahlt; zuerst rennt euch die Schädel an unseren Mauern ein! werden die Salzaer sagen. Er setzte sich mißmutig auf einen Stein am Wege und wartete auf die versprochenen Mühlhäuser Geschütze. Dann würde man ja sehen , . . Bis jetzt hatte die Heerfahrt Müntzers und Pfeiffers noch nichts Überwältigendes für ihn, ja, es wollte ihm scheinen, als habe der verhaßte frühere Bürgermeister Rodemann dennoch in Mühlhausen mehr Würde und Ansehen gehabt, eine weit stärkere Macht entfaltet als der Metzger Sebastian Künemund im samtenen Bürgermeistermantel, so weit er auch den Mund aufriß. O, Renate, in was für eine Welt bin ich armer Totgesagter zurückgekehrt! Du hast mich verstoßen, und Ottilie Rüdiger zog mich an ihr Herz. Es ist mir aber unheimlich vor dieser Braut, die ich nicht lieben kann, mag sie auch ebenso schön wie fromm sein.
Fromm nennen sich ja auch alle diese Menschen hier. Ich bin nur ein armer, ungelehrter Gesell, aber ich kann ihre Frommheit nicht loben. Ich will auf die alte Art meiner Mutter zum lieben Herrgott beten, daß er mich aus der Wirrsal des Herzens erlöse und sei es durch den Tod in einer offenen und ehrlichen Feldschlacht, wennschon ich als braver Goldschmied mit Renate mein Leben nicht beschließen soll nach seinem Ratschluß. Ich will immer ein ordentlicher, ehrlicher Kerl bleiben, lieber Herrgott!
So betete der Rottenführer Hans Stark vor Salzas Obertor auf einem Stein in dem Lärm der tobenden Menschen still für sich zu Gott um seine Liebe und sein Seelenheil.
Dem Rottenführer Thomas Müntzers vor Salza rief eine innere Stimme: Kehre um! Er hatte es mit ingrimmigem Lächeln angesehen, daß die Tore Salzas vor den Mannen Thomas Müntzers und Heinrich Pfeiffers geschlossen blieben. Endlich, als der Lärm draußen überhand nahm, schoben sich zwei Salzaer Ratsherren ängstlich zu einem Torpföstchen heraus und geboten Ruhe.
„Warum sind euer denn so viele gekommen?“ fragten sie scheu.
„Das will ich Euch gleich sagen: Wir fordern den Kopf des Amtmanns Berlepsch und aller unserer Feinde in Salzas Mauern,“ heischte Pfeiffer streng von seinem Pferd herab..
Die beiden Ratsherren hoben entsetzt die Hände. „Das kann euer Wille nicht sein, denn es wäre unser Untergang. Auch sind die Gesuchten gar nicht in der Stadt.“
Man könnte des zum Beweise ja euch beide Angsthasen als Geiseln aufheben! dachte Hans Stark belustigt, sprach es aber nicht aus.
„So wäre unser ganzer Zug hierher vergebens gewesen,“ erwiderte leichthin Herr Pfeiffer und wandte sich spöttisch seinem Bruder Müntzer zu. „Sagt ich nicht, wir sollten zu Hause bleiben? Mühlhausen ist uns Mühlhausen.“ Du bist und bleibst uns freilich ein Fremder in der Stadt, setzte er in Gedanken hinzu.
„Ganz unverricht können wir doch nicht abziehen - was sollte das Volk wohl davon denken?“ sprach höchst unschlüssig endlich Thomas Müntzer, an dessen verkniffenen Lippen aller Augen hingen. „Wir bitten Euch aber darum.“ Die beiden Salzaer zitterten um den Ausgang dieser Unterredung. „Sagt es den Rotten selbst, daß sie Euch dafür zerreißen und zerstampfen!“
Sie fanden in ihrer Angst einen guten Ausweg.
Liebe Brüder, so wollen wir euch für die gehabte Mühsal des Weges und eure Güte zwei Faß Bier größten Maßes verehren,“ schlug der eine Ratsherr von Salza vor. „Und ich will heimreiten, nach den Geschützen zu sehen, weil es ohne solche kein rechter Heerzug ist,“ warf Hans Stark mit diplomatischer Schläue ein.
„Lieber, wollen wir nicht beides dem Volke, so uns gefolgt ist, verkünden?“ fragte Pfeiffer seinen Bruder Thomas Müntzer.
Der Prophet gab nur ein erzwungenes Nicken von sich. Sie schwenkten das Regenbogenfähnlein und verkündeten den Beschluß. Jauchzend ward das Bier erwartet und empfangen. Im Triumphe fuhren es die Mühlhäuser vor sich her und schlugen schon im nächsten Dorfe die Zapfen aus. Alsbald begann in sinkender Nacht ein Saufen und Johlen unter dem Seidenfähnlein. Herr Thomas Müntzer lag versonnen abseits im Grase, war in seinen Mantel gehüllt und starrte hinauf in die ewigen Gestirne. Was wird aus diesem allen werden? Hans Stark ritt froh und doch enttäuscht gen Mühlhausen zurück.
Quelle: Aus: Paul Schreckenbach: „Die Mühlhäuser Schwarmgeister“ – Bild: Stadtmauer Bad Langensalza 2025 © Thomas Schuster Heiligenstadt
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