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Aus dem Archiv: „Vor allem ehrlich muß man zu den Kindern sein.“
Heiligenstadt im Eichsfeld
Veröffentlicht von Thomas Schuster in Heiligenstadt · Mittwoch 13 Mär 2024
Tags: Frauentag
Ein Prinzip der Kinderärztin Frau Christel Gasser
„Montagnachmittag. Ein nebelgrauer Tag, an dem der Schnupfen mehr als sonst auf der Lauer liegt. Erkältungskrankheiten grassieren und machen natürlich auch nicht halt vor Schulen, Kindergärten und -krippen. Und so kann das Wartezimmer der Kinderabteilung der Heiligenstädter Poliklinik an diesem Februartag die Patienten kaum fassen. Im Vorzimmer die gleiche Szene. Mütter oder Väter geben sich Mühe, besonders lebhafte Sprößlinge noch die letzten Minuten im Zaum zu halten, bevor sich die Tür zum Arztzimmer öffnet. Die Ärztin Christel Gasser hat heute Sprechstunde. Schaffen es Andrang und Unruhe noch, sie nervös zu machen? „Oh, nein“, meint sie lächelnd und fügt hinzu: „Das wäre schlimm!“ Das besticht auch als erstes an dieser Frau: Die Ruhe, die sie immer ausstrahlt. Und sind es 100 Kinder pro Sprechstunde — das letzte empfängt die gleiche Aufmerksamkeit und Gründlichkeit wie das erste.

Abend in greifbarer Nähe

Der Tag war lang. Er begann für die Ärztin wie an jedem Wochentag früh um 7 Uhr im Robert-Koch-Krankenhaus. Hier betreut sie die Neugeborenen, legt notwendige Therapie fest, bestimmt die weitere Ernährung und setzt den Tag der Entlassung an. Bei jährlich 700 bis 750 Geburten in dieser Klinik gibt es immer Arbeit für die Kinderärztin. Der Vormittag sah Frau Gasser dann in Arenshausen zur Sprechstunde, anschließend stand Mütterberatung in diesem Bereich auf dem Programm und seit 14 Uhr nun ist sie ganz Ohr für die Sorgen der Heiligenstädter Mütter mit ihren kranken Kindern. Ein Pensum, das Kraft kostet und keine Abstriche an der Konzentration duldet. Zu groß ist die Verantwortung. Die Anstrengung, die das der Ärztin oft kostet, spürt das Kind nicht und nicht der Erwachsene.

Mit kleinen Tricks über die Angstschranke

Nur wenige Minuten kann eine Untersuchung in Anspruch nehmen. Dennoch liegt Frau Gasser viel daran, Kontakt zum Kind zu bekommen. Zum Gespräch mit Sven oder Thomas bietet sich für die Ärztin das Abhören an, das Mund-Aufmachen, das „Aaa“-Sagen. Schaukelpferd, ein Bilderbuch oder ein Spielzeug sind weiter kleine Tricks, die sie nutzt, um die Angstschranke bei den Kindern zu überwinden. Und was sie für ganz wichtig hält: „Ehrlich muß man sein. Eine Spritze tut eben doch ein bißchen weh und ist niemals eine Strafe für irgendwelche Untaten! Solche Drohungen sind allenfalls angetan, die Kinder zu verunsichern, die dann im Krankheitsfall praktisch mit einem Pikser bestraft werden.“

Die Untersuchung ist beendet, Sven darf in die Bonbonbüchse greifen. Auch das hilft Vertrauen schaffen, verringert den Abstand zwischen Ärztin und kleinem Patient. Der Ablauf der Sprechstunde macht deutlich: Für Frau Gasser sind die Kinder Partner, die ernst genommen werden, mit deren Reaktionen sie rechnet und bei denen sie Verständnis wecken will für das, was sie tut.

Langsam leert sich das Wartezimmer, es geht auf 18 Uhr. Hausbesuche sind heute keine angemeldet, so liegt für Frau Gasser der Feierabend in greifbarer Nähe. Der Tag war lang. Er begann für die Ärztin wie an jedem Wochentag früh um 7 Uhr im Robert-Koch-Krankenhaus. Hier betreut sie die Neugeborenen, legt notwendige Therapie fest, bestimmt die weitere Ernährung und setzt den Tag der Entlassung an. Bei jährlich 700 bis 750 Geburten in dieser Klinik gibt es immer Arbeit für die Kinderärztin. Der Vormittag sah Frau Gasser dann in Arenshausen zur Sprechstunde, anschließend stand Mütterberatung in diesem Bereich auf dem Programm, und seit 14 Uhr nun ist sie ganz Ohr für die Sorgen der Heiligenstädter Mütter mit ihren kranken Kindern. Ein Pensum, das Kraft kostet und keine Abstriche an der Konzentration duldet. Zu groß ist die Verantwortung. Zur Mütterberatung in Geisleden, Heuthen, Siemerode, Bischhagen, Streitholz, Mengelrode und in der Stadt, zur Krippenbetreuung in diesen sechs Gemeinden und zur Sprechstunde gesellt sich noch zwei- bis dreimal monatlich allgemeiner Bereitschaftsdienst und solcher auf der Kinderstation des St.-Vincenz-Krankenhauses. Pünktliche Feierabende haben da Seltenheitswert. Und was sagt die Familie dazu? Hat sie Verständnis? „Hat sie“, Christel Gasser schmunzelt, „was bleibt ihr auch sonst wohl übrig?“ Seit 1973 arbeitet die Fachärztin, gebürtig aus Vollenborn, in der Heiligenstädter Poliklinik. Nach dem Studium an der Humboldt-Universität Berlin und der Medizinischen Akademie Erfurt vervollständigte sie ihre Ausbildung in der Pädiatrie in Dingelstädt, Nordhausen und noch einmal in Erfurt. Was reizte sie vor allem an der Kinderheilkunde? „Das Behandeln von Krankheiten vereint sich hier mit dem Sozialen weitaus stärker als beim Erwachsenen“, sagt sie. „Das Kind ist nicht allein Patient, sondern Teil seines sozialen Umfeldes und will auch so betrachtet sein. Das macht die Pädiatrie so vielseitig und gleichzeitig so liebenswert.“

Was ihr am Herzen liegt
Eines möchte die Kinderärztin so mancher Mutter mit auf den Weg geben: Sich mehr in ihr Kind hineinzuversetzen und die Verantwortung bei der Erziehung fest in den eigenen Händen zu halten. Kinderkrippe und Kindergarten tragen in hervorragender Weise zur Entwicklung des Kindes bei, vermögen aber nicht das zu vermitteln, was allein die Familie gibt: Schutzgefühl und Geborgenheit.“



Quelle: Thüringer Tageblatt 8.5.1985 -mk- Foto: TT/Köckritz


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